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Von Visitenkarten, Steckbriefen und der täglichen Arbeit

Peter Marggraf – Bildhauer, Drucker, Büchermacher

Rede zur Eröffnung der Ausstellung im Kulturgut Nottbeck am 23. Juli 2017

 

Von Hans Georg Bulla

 

Peter Marggraf – Bildhauer, Drucker, Büchermacher: Das wäre, meine Damen und Herren, doch eine recht bemerkenswerte, außergewöhnliche Visitenkarte, würde man sie in die Hand gedrückt bekommen oder fiele sie einem aus einem Buch entgegen. Eine Visitenkarte, die einen auf der Stelle neugierig machen würde auf mögliche Werke und ihren Urheber. Denn: Welche Aktivitäten sind da sozusagen in einem Atemzug genannt. 

Peter Marggraf hat, so viel ich weiß, noch keine solche Visitenkarte drucken lassen; und würde er das tun, so setzte er sicherlich gleich noch etwas weiteres dazu – Bildhauer, Zeichner, Drucker, Büchermacher. Das wäre dann auch der richtige Titel für einen Oeuvre-Katalog, der folgerichtig sehr opulent ausfallen müsste. 

Vor Jahren hat Peter Marggraf aber in einer Art Steckbrief sich selbst beschrieben, es ist eher eine Art Arbeitsplatzbeschreibung, eine Tätigkeitsübersicht – was bei einem, dem jeder Tag ohne Beschäftigung in der Werkstatt ein verlorener Tag ist, nicht verwundern dürfte. Übrigens – seine Werkstatt ist aufs Prächtigste ausgestattet. 

Peter Marggraf, heißt es im Steckbrief, „ist ein Bildhauer. Er stellt lebensgroße Skulpturen aus Ton her. Immer steht im Mittelpunkt seiner Arbeit der Mensch.“ Es sind diese Plastiken aus holländischem Mangan-Ton, die nach dem Brand grau schimmern, als wären sie aus Eisenguß, mit denen er bekannt geworden ist. Plastiken, die einzelne menschliche Figuren zeigen, immer sind es einzelne, in ihrer Verletzbarkeit und Verletztheit, erkennbar zusammengesetzt aus einzelnen Platten, Stücken, Scherben – wie aus einer archäologischen Grabung geborgen und mühevoll wieder zusammengesetzt, um noch einmal diesen Menschen zu zeigen. Diese Figuren, hockend, kauernd, unter den eigenen Armen Schutz suchend, wirken in ihrer verstörenden Körperlichkeit zugleich so archaisch wie heutig – ein jeder Blick in die Fernsehnachrichten liefert den quälenden Beweis. Was tut der Mensch dem Menschen an, was muß ein einzelner ertragen, was kann er aushalten, wie sucht er einen Rest von Würde im verbliebenen Leben zu retten – das fragt jede dieser Figuren mit stummer Nachdrücklichkeit den, der ihnen entgegentreten mag. Und es ist diese existentielle Ernsthaftigkeit, die Peter Marggrafs Kunst ausmacht und seine Zeitgenossenschaft beglaubigt. 

Die zeigt sich in gleicher Weise auch in den zahlreichen Bronzeplastiken, die Peter Marggraf in den letzten Jahren zunächst in Wachs modelliert und dann hat gießen lassen. Und diese Bronzen, oft sind es Torsi, armlos, oder Büsten, haben keine exquisite Patina, keine auf Glanz und Glänzen hin polierte Oberfläche, nein, jede trägt die Spuren der Hände, aus denen sie hervorgegangen ist. Da sind Erhebungen stehen geblieben und von den Fingern eingedrückte Tiefen, Grate und Schrunden. Als sei der Prozeß ihrer Entstehung angehalten, als seien sie noch auf dem Weg zu sich selbst – non finito, so heißen diese vermeintlich unfertigen, in einer langen Tradition stehenden Kunstwerke. Denn die Vollendung, ein Vollständig-sein verweigert ihnen der Künstler, er zeigt Wunden, Behinderungen, Deformationen, er zeigt ein Beschädigt-sein. Diese Darstellungen aber als destruktive, entwürdigende zu verstehen, wäre ein Missverständnis. Peter Marggraf zerstört nicht mit Vorsatz, er findet um sich herum Erschütterung und Zerstörung vor und sieht, wider alle Augenscheinlichkeit, auch die Würde. Man blicke nur in die Gesichter  seiner Figuren, auf deren geschlossene Augen – dem Sog der Stille und melancholischen Ergebenheit kann man sich nicht entziehen. Und er möchte, vielleicht wider besseres Wissen, seinen Glauben an das Anders-Mögliche nicht verloren geben.  

Es ist, so gesehen nicht, verwunderlich, daß Peter Marggraf in jüngster Zeit um Arbeiten für den sakralen, den kirchlichen Raum gebeten wurde. So steht nun in einer katholischen Kirche in Göttingen eine Bronzeplastik zum Gedenken an die jüdische Christin Edith Stein, die in Auschwitz ums Leben gebracht wurde. Und in einer westfälischen Kirche, der evangelischen Kirche in Borken, ist im Altarraum eine Christusfigur angebracht, ein „unfertiger Christus“, wie es heißt, tatsächlich ein Bild des Menschensohns. Und selbst wenn dieser „Borkener Christus“ vor einem Triptychon aus Goldpaneelen mit geöffneten Armen zu schweben scheint – er ist ebenso ein Einladender wie ein um communio, ein um Gemeinschaft Bittender. 

Zurück zum Steckbrief: Peter Marggraf, heißt es da weiter, „zeichnet und radiert. Er sucht mit einem dicken Graphitstift auf weißem Papier, mit dem Messer im Holz oder mit der Radiernadel im Metall die Konturen seiner Menschen“. Und das, was so entsteht, entweder als Einzelblätter oder als Grafik in kleiner Auflage auf der eigenen Presse gedruckt (ja, er ist eben auch ein Drucker), sind keine glatten, dekorativen, die Augen mit farbigen Effekten schmeicheln oder sie veristisch täuschen wollenden Darstellungen. Er läßt auf der Fläche des Papiers oft nur die Umrisse gelten, Gliedmaßen und Körper sind angedeutet, die Gesichter bleiben schemenhaft, eine reduzierte Figürlichkeit. Da wird kein filigranes Virtuosentum zelebriert, das ist vielmehr die gestische Bewegung des Arms, der expressiv zeichnenden Hand. Und es sind unverkennbar seine Menschen, die da auf dem Papier stehen – non finito,  noch nicht vollendet, noch nicht vervollständigt, noch nicht angekommen auch sie. 

Und schließlich heißt es im Steckbrief: „Peter Marggraf liest. Er findet in literarischen Texten seine Menschen, und er stellt diese Texte seinen Arbeiten gegenüber. Es sind Texte von Ingeborg Bachmann, Samuel Beckett, Franz Kafka, Georg Büchner und Georg Trakl.“ Diese Namensliste ist, wie der Steckbrief, an die zwanzig Jahre alt – seither sind einige Namen dazu gekommen, denn Peter Marggraf ist ein eifriger Leser und, ja, ein fleißiger Büchermacher. Nelly Sachs, Heinrich Heine, Rainer Maria Rilke, Jean Paul, August von Platen, Brüder Grimm, Thomas Mann. Und dazwischen Wilhelm Steffens,  Gerd Kolter, Clemens Umbricht, Peter Piontek, Johann P. Tammen, Peter Gosse, Christine Kappe, Hermann Kinder und, ja, auch Hans Georg Bulla neben einigen mehr. Wer diese Namen, diese Titel (Anrufung des großen Bären, Brief an den Vater, Tod in Venedig) liest, gerät damit in eine literarische Welt ganz eigener Art – Texte der klassischen Moderne, kanonische Texte des 19. Jahrhunderts, Texte zeitgenössischer Autoren und Autorinnen. Ein außergewöhnliches, wenn nicht verwunderlich wirkendes Programm, wenn man daran denkt, was ansonsten in den Regalen und auf den Stapeltischen  einer landläufigen Buchhandlung zu finden ist. Was mag das für ein Verleger sein, der alle seine Bücher in bibliophiler Ausstattung herausbringt, allesamt reich mit Bildern versehen oder mit beigelegten Grafiken, von Hand gebunden, in kleiner Auflage nur erscheinend. Nun ja, es ist ein Ein-Mann-Unternehmen, der Verlag heißt San Marco Handpresse, der Büchermacher, Sie wissen das, Peter Marggraf.  

Seine Leidenschaft für das Büchermachen trägt und prägt das Programm, nun schon im einundzwanzigsten Jahr. Doch es geht ihm nicht um das Machen allein, obgleich er nichts lieber hört, vermute ich, als das Klackern der alten Linotype-Setzmaschine, Baujahr 1928, und das sanfte Anheben der leeren, das glückliche Ablegen der bedruckten Bögen in der Presse. Aber er nimmt nicht einen beliebigen, gerade verfügbaren Text her und steckt ihn frisch gedruckt zwischen zwei Buchdeckel. Nein, was unter seinen Händen zu einem Buch werden soll, das hat er sich zuvor angeeignet, es sich zu eigen gemacht. Er sucht und findet Texte, die ihm nahe kommen und ihn in seinem eigenen Tun bestärken können, seiner künstlerischen Arbeit als Bildhauer, Zeichner, Drucker. „Er findet sich wieder“, heißt es im Steckbrief, „in den Figuren der gelesenen Literatur und sieht seine Zeichnungen und Drucke.“ 

In den letzten Jahren ist eine weitere, mit Engagement betriebene Beschäftigung hinzugekommen – Peter Marggraf hat zahlreiche Mappen, Kassetten und Boxen angefertigt, Behältnisse für die Aufbewahrung seiner Kunst und seiner Bücher, Behältnisse, für die sich so recht keine eigne Bezeichnung finden lässt. Eins ist diesen Objekten gemeinsam – sie gehen aus von einem Buch, das er als Büchermacher gesetzt, gedruckt, gebunden und dem er Zeichnungen, Monotypien oder Grafiken beigegeben hat. Sie beinhalten also „Bilder und Wörter“ und präsentieren sie in einer neuen Zusammenführung: Da ist das fertige Buch, das jedoch in seiner Entstehung vorgestellt wird, mit den verschiedenen Fassungen des Skripts des Autors, mit den Druckproben und Korrekturen des Büchermachers; und da sind die originalen Zeichnungen oder Grafiken, die im Buch wiedergegeben sind. Das alles hätte Platz in einer schlichten Mappe und würde die traditionellen Erwartungen an eine Werkstattdokumentation („Wie dieses Buch entstanden ist“) nicht übersteigen. Aber Peter Marggraf geht regelmäßig über ein so schlichtes Konzept hinaus, die Boxen und Kassetten enthalten mehr an Beigaben, Glasreliefs beispielsweise oder gar aufgelesene Steine, sie sind nobel-großzügig gefertigt und übertreffen die allein mit dem Buch verknüpfte Vorstellung – es sind kleine Wunderkammern voller Überraschungen,  Kunstobjekte  ganz eigner Art.  

Bildhauer, Zeichner, Drucker, Büchermacher – gibt es eine Verbindung zwischen all diesen Aktivitäten, gibt es ein Antriebszentrum, das Peter Marggraf zu diesen durchaus zeit- und kraft- und gedankenaufwendigen Betätigungen immer wieder nötigt?

Ich denke,  ich habe eine Formel gefunden, schließlich kenne ich ihn schon an die dreißig Jahre, eine Formel, die etwa so lauten könnte: Peter Marggraf ist ein Handarbeiter in allen seinen Disziplinen, Handarbeiter im alleranspruchsvollsten Sinn, sage ich gleich dazu, ein Handarbeiter mit Kopf, ein veritabler homo faber.

Er will durch die Arbeit der Hände die Dinge, das Material, den Stoff des Lebens wahrnehmen, er will mit ihnen seine eignen Erfahrungen machen können, er will aus dem, was er in Händen hält, etwas schaffen, etwas erschaffen, etwas Dingliches, für sich allein Einstehendes, das aber Mitteilung macht von den Prozessen seiner Entstehung und dem Grund seiner Existenz. Das bliebe aber trotz aller Leidenschaft eine hohle Anstrengung, wäre da nicht jene existentielle Ernsthaftigkeit,  mit der er sich seines Lebensthemas annimmt – dem Bild des Menschen. 

Da hätten Sie jetzt, meine Damen und Herren, eine etwas ausführlichere Visitenkarte, einen etwas umfangreicheren Steckbrief von Peter Marggraf – Bildhauer, Zeichner, Drucker, Büchermacher. Der wird übrigens in ein paar Wochen siebzig Jahre alt. Aber zum Geburtstag, das habe ich so gelernt, darf man nicht vorzeitig gratulieren, keine Glückwünsche also an dieser Stelle. Einen Wunsch nehme ich mir aber dennoch heraus – ad multos annos! Auf viele weitere Jahre einer freundschaftlichen Zusammenarbeit ...

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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