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Charon und ein tanzender Stern
Zwei neue Bücher in der Reihe I libri bianchi

 

Von Peter Piontek

 

Was soll man denn über diesen Peter Marggraf noch sagen, über den „Macher“, wie er sich selbst in einer Mail nennt, in der er um einen Beitrag für seine Werkstatt-Zeitung bittet? Er produziert so rastlos, daß man seinen Augen nicht traut. Zwei neue Bücher hat er wieder gemacht, der Künstler. Wie, nur zwei? Naja, unter anderem, zwei jedenfalls in der Reihe I libri bianchi, in denen er zwei Säulenheilige der lyrischen Moderne noch einmal in Auszügen vorlegt: Arthur Rimbaud, im Original und in der sehr – sehr! – freien, expressionistischen Nachdichtung von Paul Zech. Und von Charles Baudelaire die Gedichte, die ursprünglich unter dem Titel „La Mort“ am Ende der „Fleur du mal“ standen, wiederum im Original und in gleich zwei Übertragungen. So darf man endlich einmal wieder Stefan George lesen, und dazu Wolf Graf von Kalckreuth.
Aber wer spricht von lesen. Erst einmal ist Schauen angesagt bei Peter Marggraf. Denn der Bücher-Macher ist zuallererst immer noch Künstler, der schaut und liest und am liebsten und gründlichsten setzend liest (wie er selber sagt) und der dabei in Bildern denkt. In Venedig – natürlich war er auch dieses Jahr in Venedig – fand er in seinem Feriendomizil (wo er meistens zu arbeiten scheint) unter anderem eine zerlesene Taschenbuchausgabe der „Menschheitsdämmerung“. Für ihn eine Wiederentdeckung Benns, Heyms und Werfels, und eben auch der Rimbaud-Aneignungen Paul Zechs.
Also reagierte er darauf, suchte nach neuen „Druckstöcken“, die am Ende nicht aus Holz waren, sondern aus Draht. Auf immer neue Weise bog er sich Drahtstücke zurecht, um sie dann in einem frottageartigen Verfahren abzubilden. Auf seiner Website hat er diesen Arbeitsprozeß in Bildern dokumentiert. Da sieht man Beispiele der Drahtgebilde und wie der Drucker sie mit der Farbwalze vorsichtig durchreibt. Und man sieht eine faszinierende Folge von Frottagen bzw. Monotypien, Variationen einer Figur in Bewegung – oder in wunderlichen Verrenkungen, schreitend, schwebend, tanzend – oder einen Sternentänzer in Verzückung, einen Menschen in Auflösung mit seltsam verformten Gliedmaßen und einem geöffneten Leib, für den die Grenzen zwischen Innen und Außen nicht mehr vorhanden sind.
„Beschneit vom bleichen Schein des Nachtgestirns“ hat Peter Marggraf den Band genannt, nach einer Zeile aus dem Gedicht „Ophelia“, nicht von Rimbaud, sondern von Paul Zech. Der des Französischen nicht wirklich mächtige Leser tut gut daran, eine texttreuere Übersetzung daneben zu legen, wenn er dem französischen Original näher sein will. Aber Marggraf, dieser unermüdliche Menschendarsteller, hat ja weder Zech noch Rimbaud illustriert. Vielmehr hat er, indem er mit den Möglichkeiten der Monotypie experimentiert, sich wieder einmal neue Ausdrucksmöglichkeiten erschlossen. Man muß eben nicht nur „Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können“, wie es in Nietzsches „Zarathustra“ heißt, manchmal braucht es vor allem ungewöhnliche künstlerische Mittel, den Stern zu entfesseln.
Auf ganz andere Weise überzeugt der andere neue Band aus den I libri bianchi. „La Mort / Der Tod“ ist einfach ein wunderschönes Buch. Marggraf hat die französischen Originale Baudelaires in einem dunklen Rotton gedruckt, die Übersetzungen hingegen schwarz. Und er hat nicht nur am Ende des Buches eine Reihe von Zeichnungen angefügt, sondern auch den Textblock durch Grafiken gegliedert, so daß der Leser durch das Buch geleitet wird und gleitet wie Charons Kahn durchs Wasser; denn das ist das zentrale Motiv, das der Künstler in den dem Band beigegeben Bilder wieder und wieder variiert: Der Fährmann, dargestellt wie der Tod selber als Skelett, stehend, und die schattengleiche Seele eines Abgelebten, sitzend, im Boot, das dahingleitet, mal
scheinbar still und langsam, mal aufgewühlter, weniger einverstanden mit dem Schicksal auf anderen Blättern.
Dieses Motiv ist nicht neu in Peter Marggrafs Repertoire. Die in lockeren Strichen mehr skizzierten Szenen verraten eine gewisse Meisterschaft, man könnte auch sagen Routine, im Umgang mit dem Sujet. Die Bilder setzen Marggrafs Auseinandersetzung mit dem Motiv des Totentanzes fort und haben „mit dem Wunsch nach einem selbstbestimmten Ende zu tun“, so der Künstler. Entstanden sind die Federzeichnungen im Sommer 2017 als Vorzeichnungen zu einer „Charon“-Mappe. Wenn man versucht, in den Blicken der Figur des Hinüber-Geleiteten zu lesen, so tun sich da vor allem Fragen auf. Es ist und bleibt eine Fahrt ins Ungewisse, auf der jegliches seine Gestalt verliert. Und das gewisseste am Ende ist doch allemal dies: daß es nicht selbstbestimmt ist. Das so überzeugend ins Bild gesetzt zu sehen, hat dann auch etwas Tröstliches für uns Lebende. Peter Marggraf betont das Thema des Aufbruchs noch, indem er seine Zeichnungen unter einen eigenen Titel stellt: „Ein Boot bauen und das Land verlassen“.


 

 

 

 

 

 

 

 

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