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Die Lieder überm Staub und die Lust des Druckers

 

 
     
Arbeit am Heidelberger Tiegel   Zeus Automatik. Baujahr 1925. Handanleger

 

Peter Piontek

 

Die Liebe hat einen Triumph und der Tod hat einen,
die Zeit und die Zeit danach.
Wir haben keinen.

Nur Sinken um uns von Gestirnen. Abglanz und schweigen.
Doch das Lied überm Staub danach
wird uns übersteigen.

 

Wie gemeißelt stehen diese Zeilen am Ende von Ingeborg Bachmanns Zyklus „Lieder auf der Flucht“, 1956 zuerst veröffentlicht in dem Band „Anrufung des Großen Bären“. Und wie in Stein gemeißelt hat sie Peter Marggraf nachgestaltet. 1996 entstand sein Mappenwerk der „Lieder auf der Flucht“, großformatige Bleistift-Frot-tagen von kapitalen Holzlettern, wiesie einst zum Setzen von Überschriften verwendet wurden. Die wunderbarengroßen Text-Tafeln waren des Druckers erster Versuch, einen von Kommen-tatoren und Bachmann-Interpreten bislang wenig beachteten Gedichtzy-klus zu lesen – als seien die Texte Epi-taphe. Und in der Tat wird in den 15 Gedichten der Triumph des Todes spürbarer als der der Liebe. Gleich das Eingangsgedicht türmt Bilder der Zerstörung und des Absterbens auf: „Der Palmzweig bricht im Schnee, / die Stiegen stürzen ein, / die Stadt liegt steif und glänzt / im fremden Winterschein“. Und so geht es fort.
Wir haben die Lyrikerin Ingeborg Bachmann noch lange nicht ausgelesen. Das haben in den letzten Jahren nicht nur Editionen aus dem Nachlaß der 1973 ums Leben gekommenen Dichterin gezeigt – pünktlich zum Wettlesen um den Klagenfurter Bachmann-Preis druckte jetzt wieder die Wiener Literatur-Zeitung „Volltext“ eins ihrer unveröffentlichten Jugendgedichte ab. Und der interessierte Leser mag sich noch der ZEIT-Debatte zur Edition unveröffentlichter Gedichte unter dem Titel „Ich weiß keine bessere Welt“ von vor drei Jahren erinnern. Darf man unautorisierte Texte herausgeben, die zum Teil kaum mehr sind als erste Notate zu Gedichten, so lautete damals die Streitfrage.
Man darf und man soll, denn solche Editionen tragen dazu bei, die Lyrikerin Bachmann wieder und neu zu verstehen, sie gegen ihre (konservativen) Liebha-ber wie gegen ihre (feministischen) Kritiker zu verteidigen, welch letztere die Prosa-Autorin gerne gegen die Dichterin ausgespielt haben. Vor allem Walter Höller hat in seinen Veröffentlichungen deutlich gemacht, wie sehr auch die Dichterin von allem Anfang an aus ihrer Zeit heraus
verstanden werden muß, wie sie sich
mit den geschichtlichen Erfahrungen ihrer Generation, mit Faschismus und Restauration auseinandersetzt. „Die To-ten, an mich gepreßt, / schweigen in allen Zungen“, heißt es im zweiten Gedicht der „Lieder auf der Flucht". Höller verfolgt in seiner 1993 erschie-nenen Monographie „Ingeborg Bach-mann. Das Werk“ die „Erfahrung der Nachtseite der Geschichte unserer Epoche als ‚Geschichte im Ich‘ und interpretiert auf dieser Basis auch die utopischen Bilder im Werk der Dichterin konsequent als „Zeichen für den umfassenden Bruch mit dem Bestehenden“.
Man sollte diesen Ansatz im Auge behalten, auch bei der Lektüre so sperriger und komplexer Gebilde wie der „Lieder auf der Flucht“, die von Gedicht zu Gedicht neue Bilder auftürmen, die von Vergänglichkeit, Erstarren und Tod künden. Er möge zumindest als Warnung dienen, die Chiffren, in denen sich das Ich hier ausspricht, nur als Mitteilung privater Not zu verstehen. Bilder der Erstarrung, das hat Höller deutlich gemacht, sind im Werk Bachmanns immer auch ein Reflex auf eine erstarrende Gesellschaft, auf deren restau- rativen Verkrustungen.
Peter Marggraf, der Drucker, liest Bachmann existentiell. Das jedenfalls legen die Radierungen nahe, die er seiner 2002 erschienenen Buchfassung des Zyklus‘ beigebunden hat. Die erste „Fragment / auf ein Tuch gelegt“, zeigt einen Schädel, einen Totenkopf. Es folgen die Blätter „Gespinst / dem Engel Rauch“ und „Gespinst“. Jahre nach seiner ersten Auseinandersetzung mit dem Text ist er noch einmal auf die „Lieder auf der Flucht“ zurück-gekommen. Es seien nicht selten einzelne Strophen oder auch nur Sätze, Bilder, die zum Anlaß zur Beschäftigung mit bestimmten Texten würden, erklärt er. Und der Drucker, da dürfen wir sicher sein, ist als Setzer auch ein verläßlicher Vor-Leser. „Niemand hat einen so intensiven Kontakt zum Text, wie ich, wenn ich in zwei Stunden gerade mal drei Strophen setze“, sagt er und erklärt die Langsamkeit zur unabdingbaren Voraussetzung der Kunsterfahrung: „Das ist für mich das Kriterium: Wie schnell – das heißt: wie langsam – sich ein Werk erschließt. Das ist das letzte Abenteuer.“ Dabei fügt er längst nicht mehr Letter um Letter im Handsatz zusammen. Für ihn begann ein ganz neuer Abschnitt des Büchermachens,als er 1996 eine fast 70 Jahre alte Linotype-Setzmaschine günstig erwerben konn- te und damit unabhängig wurde von einem ein für alle Mal vorhandenen Buchstaben-Vorrat.
In die Linotype gibt man über eine Schreibmaschinentastatur zeilenweise Text ein, der dann vermittels Matritzen – Buchstabennegativen – in Blei gegossen wird. Das Verfahren revolutionierte Anfang des 20. Jahrhunderts die Ar-beit der Setzer – und war bereits 50 Jahre später, mit der Erfindung des Fotosatzes, so gründlich überholt wie bald die gesamte Buchdrucktechnik, die sich doch seit Gutenbergs Zeiten ein paar Jahrhunderte lang ohne we-sentliche Veränderung erhalten hatte.
Heute bestimmt der Computer und der Offsetdruck auch die Buchherstellung, Buchdruck bedeutet industrielle Massenproduktion. Nicht so bei Handpressendruckern wie Peter Marggraf. Sie zeigen, daß Bücher mehr sein könnnen und sollen als beliebige Hüllen für mehr oder weniger gewichtige Inhalte. Das Buch selbst wird zum Kunstobjekt, zumGesamtkunstwerk, durchgestaltet von der Auswahl des Papiers über den Satz, die Einbeziehung von Illustrationen bis zum Einband. Und zudem be-wahren die Handpressendrucker die alten Maschinen davor, zu Alt-Eisen oder bloßen Museumsstücken zu verkommen. Marggraf druckt auf einem Handtiegel von 1925. Begonnen hat das Abenteuer des Buchdrucks für den Bildhauer und Grafiker ganz handgreiflich: Mit der Künstlern eigenen Leidenschaft für Materialien und dem Sammeln von Materialien. „Das ist der Reiz des Tuns, das Umgehen mit den Materialien. Das hat mit den Sinnen zu tun. Die Farbe riechen, das Papier in die Hand nehmen und auswählen“, erklärt der Drucker. Und als die gewerblichen Druckereien in den 1970/80er Jahren ihre alten Maschinen und Schriftsätze ausmusterten und dann noch einmal nach der Wende, als die DDR-Betriebe ihre Technik umstellten, war es nicht schwer, günstig an Andruckpressen und Bleischriftensätze heranzukommen.
Freilich, das Drucken und Setzen will gelernt sein. Marggraf hat sich als Kunststudent natürlich auch mit Drucktechniken befaßt. Als Buch-drucker ist er Autodidakt. Und um die Linotype, der das Auto in der Garage seines Bordenauer Hauses weichen mußte, in Betrieb nehmen zu können, brauchte er denn doch fach- kundigen Rat. Und tatsächlich machte er einen längst im Ruhestandbefindlichen ehemaligen Setzer ausfindig, der ihm über anfängliche Schwierigkeiten hinweghalf. Mit der Setzmaschine kam auch der Name: San Marco Handpresse hat der Ve-nedig-Enthusiast seine Druckerei genannt. Ein Klischee mit dem Löwen, das er in der alten Buchdruckerstadt an der Lagune aufgetrieben hat, benutzt er als Signet für seine Produkte, die alsVerlagsstandort Venezia / Bordenau ausweisen.
Mit der Mechanisierung des Satzes wuchs nicht nur die Produktivität, die Produkte der San Marco Handpresse erhielten auch ihr unverwechselbares Gesicht: Schmale aber großformatige, fadengeheftete Bände in englischer Broschur, denen immer einige Radierungen beigebunden sind, verlassen Stück für Stück Marggrafs Werkstatt. Umfangreichere Werke wie Kafkas „Verwandlung“ oder Trakls „Sebastian im Traum“ werden in Leinen gebunden. Die Auflage liegt in der Regel bei rund 23 Stück. Erhalten hat sich Marggrafs Interesse an Autoren, deren Texte „nicht nur über Befindlichkeiten Auskunft geben, sondern existenziell etwas mitzuteilen haben, Hilfestellung geben“, Ingeborg Bachmann eben, Kafka, Beckett und immer wieder Trakl. Da setzt der Drucker fort, was den Bildhauer mit seinen nahezu lebensgroßer Terracotta-Figuren schon einmal zu bestechenden gestalterischen Leistungen geführt hat: Die Auseinandersetzung mit der Si-tuation des Menschen, mit seiner Hinfälligkeit.
Zu den großen Toten hat sich in den vergangenen Jahren immer wieder einmal ein lebender Autor gesellt. Den Anfang machte 1997 ein Band mit Gedichten Hans Georg Bullas, „Flügel über der Landschaft“. Bulla betreut seitdem als Lektor die sporadisch erscheinenden Erstveröffentlichungen.So erschienenen im vergangenen Jahr Hermann Kinders Erzählung „DieForellsche Erkrankung“ und soeben neue Gedichte von Johann P. Tammen.
Auch in Kinders Erzählung ist das Generalthema der Tod, die Forellsche Erkrankung ist eine Krankheit zum Tode (eine ausführliche Besprechung der Erzählung Kinders von Gerd Kolter findet sich im Januar-Heft 2003 der „Berichte aus der Werkstatt“). Todesvisionen und -ängste durchziehen das Werk des Konstanzer Autors undLiteraturwissenschaftlers von allem Anfang an. Von der Liebe erzählt er in seiner jüngsten Prosa so beiläufig und zart, daß man es beinahe überliest. Hätte „ich nicht jeden Zug sausen lassen sollen, nur diese Hand halten sollen, mich mit Blindenschriftfingern ihrer Wärme versichern, ihrer weichen und harten Flächen, ihrer Narben, ihrer Kuhlenhäutchen, ihrer Verhornungen und Schreibbuckel, ihrer Nägelmonde, hätte ich sie nicht so festhalten und nie lassen sollen, wie ich sie früher, wenn auch anders, in der Erregung festgehalten hatte?“ So sinniert der alternde Ich-Erzähler, der mit seiner Frau nur mehr eine immer flüchtiger werdende Wochenendbeziehung führt, nachdem er sie wieder einmal in Köln besucht hat.
Peter Marggraf hat sich mittlerweile wieder einem Projekt zugewandt, das die Verflechtungen von Liebe und Tod in üppigeren Bildern einfängt – Ingeborg Bachmann natürlich. Im Herbst soll die „Anrufung des Großen Bären“ in der San Marco Handpresse erscheinen.