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Der Sammler Gerhard Hartmann zu Besuch in der Bordenauer Werkstatt von Peter Marggraf (2015)

 

gedichtet / gezeichnet
Die neue Sammlung Hartmann

 

Peter Piontek

Für Rilke war es noch selbstverständlich, seine Gedichte mit der Hand ins Reine zu schreiben und sie in handgeschriebenen Ab- und Reinschriften zu verbreiten. Die zwei Generationen jüngere Ingeborg Bachmann dagegen spannte häufig schon für Entwürfe ein Blatt in Maschine. Für sie war es selbstverständlich, Gedichte an der Maschine zu arbeiten. Und wir senden unsere Texte gleich als Datei an Zeitschriften und Verlage und schicken Freunden Mails und SMS; die Handschrift ist allenfalls noch gut für Notizen und Merkzettel.
Da möchte er „etwas dagegen wirken“, sagt Gerhard Hartmann. Ihm geht es nicht um Schönschreibübungen, sondern um die Authentizität des handschriftlichen Ausdrucks. „Auch in ein-, zweihundert Jahren sollen noch Handschriften in Bibliotheken zu sehen sein“, sagt der Sammler. Deshalb trägt er Autographen zusammen und versucht unermüdlich, Autoren und Künstler für seine Idee zu gewinnen. Auf drei Etagen war im September seine Sammlung im Palais Turn und Taxis in Bregenz zu sehen, darunter Preziosen wie ein Vierzeiler-Selbstporträt Martin Walsers, illustriert von seiner Tochter Alissa, Gedicht-Abschriften von der Hand Friederike Mayröckers mit graphischen Blättern von Wolfgang Stifter (Professor in Linz und Nachfahre des österreichischen Erzählers) oder Texte auf Deutsch und Japanisch, gedichtet von Yoko Tawada. Und daneben eine bunte Fülle an Werken nicht ganz so oder nur regional bekannter Autoren und Künstler, insgesamt nicht weniger als 150 „Paarungen“, wie es in einer Mitteilung der Vorarlberger Landesbibliothek heißt.
Die Ausstellung trug ganz und gar Hartmanns „Handschrift“, er hat viel Zeit und auch Mittel investiert, sie konzipiert und in seinem Karlsruher Domizil vorbereitet, A1-Bogen für A1-Bogen. Hartmann ist das, was man einen leidenschaftlichen Sammler nennt. Er frönt dieser Leidenschaft im Verein mit seiner Frau Brigitte nun schon 35 Jahre. Selbst Gebrauchsgraphiker, begann Hartmann Ende der 1960er Jahre mit dem Sammeln von Graphik, mit Vorliebe solcher des Informel. Wer sich einen Eindruck von der Qualität der inzwischen auf 4.000 Werke angewachsenen Sammlung machen will, findet eine sehr schöne Dokumentation in einem Katalog der Städtischen Galerie Albstadt, der 2003 unter dem Titel „Rätselhaft? Informelle Druckgraphik gestern und heute aus der Sammlung Hartmann“ erschienen ist. 1994 haben die Hartmanns ihre Sammlung der Galerie überlassen, damit sie eine Heimat habe, gepflegt und gezeigt werde.
Ebenso soll jetzt die neue Sammlung Hartmann in Bregenz bleiben. Und sie wird weiter wachsen. Mappen sollen hinzukommen, mit jeweils mindestens sieben handschriftlichen Blättern eines Autors und Zeichnungen eines Künstlers, den der Sammler selbst aussucht, sofern er nicht auf bereits bestehende Zusammenarbeiten zurückgreifen kann.
Es gibt bereits erste solcher Mappen: Eine von Karl-Georg Hirsch illustrierte Handschrift von Kerstin Hensels Gedicht-Sammlung „Freistoss“ und zwei, an denen Peter Marggraf als Zeichner beteiligt ist. Er schuf für die Sammlung Hartmann Blätter zu Venedig-Gedichten von Günter Coufal und er bebilderte sieben Gedichte von Gerd Kolter. „Einen Augenblick Ruhe“ heißt die Sammlung nach den Schlußzeilen des Gedichtes „Von den Büchern“. 2003 hatte Marggraf den Band „Fallende Handlung“ von Gerd Kolter in der San Marco Handpresse herausgebracht, wie bei ihm üblich mit zwei beigelegten Radierungen.
Für „Einen Augenblich Ruhe“ hat er sieben Blätter mit dem Graphitstift gezeichnet. Sie sind jeweils einzelnen Gedichtzeilen zugeordnet, Figuren, die er aus dem Lineament der Zeichnung herausarbeitet, in ihrer elementar-existentiellen Haltung und Gestik typisch sind für das zeichnerisch-graphische Werk Marggrafs. Während er bei der Bebilderung seiner Bücher meist auf Vorhandenes zurückgreift, Radierungen, die mit den Texten des Autors korrespondieren, muß er für die Hartmann-Sammlung Neues schaffen, eine „echte Auftragsarbeit“, so der Bildhauer und Büchermacher, also eine Herausforderung, und so sollen weitere Mappen folgen.
Es ist gut, daß die Sammlung Hartmann in Bregenz einen festen Platz gefunden hat. Denn das ist eine Referenz, die dem Sammler sicherlich hilft, der nicht über große Mittel verfügt, aber über eine gewinnende Art und Beharrlichkeit. Er steckt voller Pläne, will auch handschriftlich verfaßte Arbeiten zu bestimmten Themen sammeln wie „Raum“, „Kreuz“ oder „Freiheit“. Im kommenden Jahr wird er 75. So zehn Jahre wolle er ganz gern noch weitermachen, sagt er.
Die Ausstellung „gedichtet/gezeichnet“ wird bis dahin hoffentlich auch außerhalb von Bregenz zu sehen sein. Auch dazu ist ein Katalog erschienen: „Gemalte Gedichte. Schriftsteller und Künstler im Dialog. Die Sammlung Hartmann. Hg. von Jürgen Thaler und Roger Vorderegger. Mit einem Beitrag von Roger Vorderegger und einem Interview mit Brigitte und Gerhard Hartmann“, Feldkirch (Neugebauer) 2006.