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Büchermacher aus Leidenschaft

Eric van der Wal und Peter Marggraf

 

 
Hans Georg Bulla (von links), Eric van der Wal und Peter Marggraf (Foto: Carola Faber)



Hans Georg Bulla

Sie kennen sich seit mehr als zwanzig Jahren, die beiden Büchermacher Eric van der Wal und Peter Marggraf. Und daran, ich räume das gern ein, bin ich nicht ganz unschuldig: Seinerzeit, Ende der achtziger Jahre, habe ich nämlich einen Fortbildungsworkshop zur Schwarzen Kunst, zum Setzen und Drucken nach Gutenberg’scher Art, organisieren können, ausgerechnet in einer Schule in Bordenau, an die eine Druckerei ihre alten Bestände an Bleisatz, Winkelhaken und Setzschiffen abgegeben hatte. Eric van der Wal konnte ich davon überzeugen, als Dozent tätig zu werden – und Peter Marggraf war einer der Teilnehmer. Ihn habe ich damals näher kennengelernt, und ich besitze immer noch ein Exemplar jenes Blattes, das er damals gesetzt und auf der Andruckpresse gedruckt hat. Es ist ein Gedicht von Bert Brecht, das so beginnt: Sieh jene Kraniche in großen Bogen ...
Und wenn ich mich nicht sehr irre, war das damalige Wochenende für Peter Marggraf, den Bildhauer und Zeichner, der Beginn seines eigenen Büchermachens, selbst wenn die San Marco Handpresse erst später offiziell an die Öffentlichkeit getreten ist. So hat der eine Büchermacher für den anderen die Spur gelegt.
Und in der Tat haben beide vieles gemeinsam: zuvörderst ihre Leidenschaft fürs Büchermachen und gleich danach den Eigensinn, mit dem sie im Ein-Mann-Betrieb ihre Bücher setzen, bebildern, drucken und binden. Ein Buch aus Peter Marggrafs Presse ist ebenso leicht zu identifizieren wie ein Buch, das Eric van der Wal in seinem nordholländischen Bergen von Hand gefertigt hat.

Der kreative Eigensinn der beiden, die nicht zuletzt auch in anderen Künsten jeweils ein bemerkenswertes Werk vorzuweisen haben, sei’s in der Plastik, sei’s in der Druckgrafik, bedeutet aber, daß neben den Gemeinsamkeiten notwendigerweise eine Reihe von Unterschieden bei ihrem Büchermachen zu konstatieren sind. Und die beginnen gleich beim Setzen selbst: Während es Peter Marggraf gelungen ist, eine alte Linotype in seine Werkstatt zu schaffen und wieder in Funktion zu bringen, die den Bleisatz zeilenweise auswirft, setzt Eric van der Wal die Skripte Buchstabe für Buchstabe mit der Hand aus einem großen Schriftenvorrat in den diversen Setzkästen und mit Hilfe eben jenes Winkelhakens. Gemeinsam ist ihnen jedoch wiederum die Passion, mit der sie als Schriftenjäger ihre Satz-Schätze zusammengetragen haben, aus aufgelösten Setzereien und Druckereien. Beide haben so einige Spezialitäten in ihren Ateliers zur Verfügung – Eric van der Wal zum Beispiel die Amsterdamer Garamont (und eben nicht die Garamond), aus der er gern die Gedichte für seine Bücher setzt.
Und das wäre ein weiterer Unterschied bei den Büchern der beiden – die literarischen Texte, die beide verlegen. Während Peter Marggraf durchaus eine Vorliebe für die klassische Moderne hat und sein Büchermachen mit Rilke, Trakl, Kafka begann (bevor Zeitgenossen hinzukamen), hat Eric van der Wal von Beginn an neueste Texte verlegt, und oft genug (wenn nicht gar in der Regel) sind das die Debütbücher der jeweiligen Autorinnen und Autoren gewesen.
Noch etwas kommt hinzu: Eric van der Wal gibt, fast von Anfang an und angefangen hat er mit seiner Presse bereits 1961, deutschsprachige Literatur heraus. Das hat irgendwann, als seine Aktivitäten nicht länger nur einem Zirkel von Eingeweihten bekannt bleiben konnten, im Feuilleton zu der Überschriften-Frage geführt: „Was macht ein Holländer in der deutschen Literatur?“ Und nachdem die Bücher von Maria Beig, Hugo Dittberner, Walter Helmut Fritz, Hermann Kinder, Kurt Morawietz bis hin zu denen von Guntram Vesper und Henning Ziebritzki durchgemustert waren, konnte die Feststellung folgen, seine Bergener Presse stelle einen „Außenposten neuer deutscher Literatur“ dar. Diesen Ehrentitel transportiere ich seither natürlich gern weiter. Ist es ein Zufall oder hat es seinen tieferen Sinn, daß Eric van der Wal seine Bücher auf einer alten Victoria-Tiegelpresse druckt, die noch aus den 1920ern und, ausgerechnet, aus Dresden stammt?
Es ist schon ein besonderes Unternehmen, das Eric van der Wal dort in Nordholland betreibt – die verlegerische Förderung von jungen Autorinnen und Autoren. „Denn“, so schrieb eine Zeitung aus Anlaß der Jubiläumsausstellung 2001 in der niedersächsischen Landesbibliothek zum vierzigjährigen Bestehen seiner Presse, „wer sein erstes Buch bei van der Wal veröffentlicht hat, dem ist die Aufmerksamkeit anderer Verlage gewiß.“ Dieses Engagement für deutsche Literatur ist keineswegs selbstverständlich, bedenkt man die Erfahrungen, die Eric van der Wals Vater, der Schriftsteller, Journalist und Kritiker Theo van der Wal, während des Krieges im Widerstand gegen die deutschen Besatzer machen mußte. Dennoch hat er sich, als erster Lektor und Herausgeber der Presse, mit Nachdruck, Sorgfalt und Sympathie der deutschen Skripte angenommen. Ihm habe ich es zu verdanken, daß meine ersten Gedichte in den 70ern mit einem holländischen Kolophon veröffentlicht worden sind. (Wohlweislich waren die mit „Kleinigkeiten“ betitelt.) Damals schon galt Bergen/Holland als eine erste Adresse bei denen, die sich der seinerzeitigen literarischen „Alternativszene“ („Achtung Bertelsmann – wir kommen!“) zugehörig fühlten.

Und ich habe gern angenommen, als Eric van der Wal mir Mitte der 80er, nach dem Tod seines Vaters, antrug, dessen Lektorats- und Herausgebertätigkeit fortzuführen.
Welche Texte sind das nun, die bei Eric van der Wal erscheinen? Es sind ausschließlich Gedichte und kurze Prosa, und das liegt an den Bedingungen und Möglichkeiten des Büchermachens in der Bergener Werkstatt. Denn anders als Peter Marggraf, der auf seiner Linotype auch längere Erzählungen in einem Durchgang zu setzen vermag, geht der Vorrat an einzelnen Bleibuchstaben in der besonderen, für das jeweilige Buch vorgesehenen Schrift bei Eric van der Wal oft schnell zu Ende. So kommt es durchaus vor, daß er einzelne Bücher in mehreren Etappen herstellen muß. Setzen, drucken des ersten Teils, den Satz auseinander nehmen, die Lettern zurück in den Setzkasten sortieren, den zweiten Teil setzen, drucken usw. Ganz zu schweigen von der jeweiligen Bebilderung, den Holz- oder Linolschnitten, den Experimenten mit typographischen Elementen. Und deshalb sind die Auflagen ebenfalls eher klein, die Bücher erscheinen in 60, 70 oder 90 Exemplaren und die müssen alle von Hand gebunden werden, genäht werden, wie Eric van der Wal gern sagt. Währenddessen ist für das nächste Buch bereits eine Lösung im Kopf gefunden („jeder Text ist für mich ein Rätsel, für das ich eine Buchlösung finden muß“, sagt Eric van der Wal); da möchten die Hände Nadel und Faden früher fahren lassen und lieber den Winkelhaken nehmen und im Setzkasten auf Suche gehen. Mitten im Fertigstellen des einen beginnt bereits die Arbeit am nächsten Buch – diese Büchermacher-Erfahrung teilen Peter Marggraf und Eric van der Wal, das weiß ich sicher.
Gut 200 eigene Bücher sind in den bald fünfzig Jahren so entstanden, zählt man die nicht in der offiziellen Verlagsliste verzeichneten Separat- und Widmungstitel dazu. Was ist zu diesen Büchern, zu ihrer Gestalt und Erscheinung zu sagen? Eric van der Wal stellt seine Bücher her, so hat es Peter Urban-Halle einmal (in einer Sendung des Deutschlandfunk) formuliert, „in einfacher, fast könnte man sagen bäuerlich-protestantischer Handwerksarbeit, in der bei aller Kunstfertigkeit schnörkellose, ja nüchterne Produkte mit einer klaren Schrift entstehen. Das verhindert, daß die Texte nur eine Nebenrolle spielen. Glücklicherweise handelt es sich also um bibliophile Gegenstände, aber nicht um prätentiöse Verschrobenheiten und nicht um perfektes Design. Eric van der Wal kennt die Kunst, ästhetisch schöne Dinge zu machen, die gleichzeitig einen soliden, ja manchmal fast robusten Charme ausstrahlen.“
Dabei ist er bisweilen recht experimentierfreudig, denn es gibt bei Eric van der Wal nicht nur Bücher in die Hand zu nehmen, sondern regelrechte Buchobjekte: Da gibt es ein halbes Dutzend Sperrholzreliefs, die sich zu einem Buchblock stapeln lassen und in deren Rückseiten jeweils ein Doppelblatt mit Originalgedicht und Übersetzung eingeklebt ist. Oder separate, schwarz gebundene Hefte mit nur je einem Gedicht werden zusammengestellt zu einer Buch-Box; ein großformatiges, verschraubtes Buch ganz in Weiß, im Prägedruck, das im Streiflicht am besten zu lesen ist; gefalzte und gefaltete Gedichtblätter in einer eigens angefertigten fünfeckigen Schachtel und mit separatem Druckvermerk-Heft; Leporellos, die, zieht man sie auseinander, rasch auf eine Breite von einem Meter kommen.

Das wäre dann wieder ein Unterschied bei den beiden Büchermachern: Denn bei Peter Marggraf würde man in einer Sammlung mit Meer-Gedichten als Zugabe wohl kaum ein paar getrocknete Algen finden, dafür aber bei Eric van der Wal, der sie selbst am Strand von Bergen zusammen mit ein paar Möwenfedern aufgesammelt und für Gedichte und Fundstücke eine Schachtel konstruiert hat – im „Meergeruch“. So gleicht bei Eric van der Wal kein Buch dem anderen, aber jedes ist sogleich als eins der seinen zu identifizieren, und das nicht nur wegen seines prägnanten Druckerzeichens.
„Van der Wals Arbeitsweise“, so war anläßlich der seinerzeitigen Jubiläumsausstellung in einer Hannoverschen Zeitung zu lesen, „ist aus einer anderen Zeit, seine Bücher sind es auch, doch seine Autoren sind es nicht. Die sind von heute – und kommen oft aus Niedersachsen.“ Das ist in der Tat nicht unbemerkt geblieben, und so hat Eric van der Wal bereits 1992 „für seine besondere Förderung von jungen Autorinnen und Autoren“ und für seine künstlerische Arbeit als Büchermacher einen Sonderpreis des Landes Niedersachsen erhalten. Danach war er mit seinem Büchermachen jedoch nicht zu Ende – wie denn auch, bei seiner Leidenschaft für Blei, Papier, Farbe und für neue Texte, neue Namen. Er hat weitergemacht und er macht weiter, trotz aller Umstände, die für eine solche Arbeit heute nicht eben förderlich sind. Er arbeitet sich langsam an das fünfzigjährige Bestehen seiner Presse heran, wird aber im kommenden Jahr zunächst seinen siebzigsten Geburtstag feiern können. Anlaß genug, so ist zu hören, daß das Deutsche Literaturarchiv in Marbach ihm dann eine kleine Ausstellung aus eigenen Beständen widmen wird. Und die Rede ist davon, daß es eine weitere Jubiläumsausstellung in Niedersachsen geben wird...