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Das Kreuz
Die Menschlichkeit Jesu

 

   
         
Drei Zeichnungen (Grafit) aus der Kassette "Crucifige eum". Leinenkassette mit Bronzekorpus. 2009
Dommuseum Hildesheim, Sammlun Brigitte und Gerhard Hartmann

Von Jörg Panzer

Sich dem Kreuz Jesu stellen, heißt für mich, eine Grundsatzentscheidung zu treffen. Von welchem Kreuz rede ich/wir: Vom Kreuz des Jesus aus Nazareth oder vom Kreuz des Jesus Christus?
Die Interpretation des Kreuzes Jesu Christi als des Sühneopfers, als des für meine Sünden Gekreuzigten, um Gott mit mir/uns zu versöhnen, fällt mir unendlich schwer.
Diesen Glauben habe ich nicht, er wurde mir nicht vermittelt, bzw. wo doch, löste er nur Abwehr aus. Aber das Kreuz des Jesus von Nazareth, der gekreuzigt wurde für die Art, wie er gelebt und geliebt hat, das leuchtet mir ein. Und wenn es um die Nachfolge geht, dann habe ich mir bewußt zu machen: Lieben kann Leiden bedeuten, kann ans Kreuz bringen. So einfach ist das und da fängt es an.
Im Dom von Greifswald hängt ein großes Kruzifix mit einer vertrauten Jesus-Gestalt: Mit Dornenkrone und leidendem (nicht schmerzverzerrtem) Gesicht, den Blick zur Seite, die Arme ausgebreitet am Kreuz und die überkreuzten Beine, um ihn an die Senkrechte des Kreuzes nageln zu können. Der Tod, das „Es ist vollbracht“ – ich schildere die mir aus vielen Kreuzbildern vertraute Gestalt deshalb, weil über dem Kreuz der Bibelspruch angebracht ist (Joh. 14,6): „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“. Meine erste Reaktion: Wie unmöglich, wie abschreckend das Kreuz und diesen Spruch zusammenzubringen. Aber nachdenkend: Es stimmt für den Menschen Jesus aus Nazareth, wenn man ihn als Vorbild nehmen will. Nur argwöhne ich: Gemeint war in der Darstellung der Jesus Christus, der für uns gestorben ist.
Es gibt einen zweiten Gedankenstrang. Jesus war gläubiger Jude, kannte also die Thora. Im Ersten Buch Mose, (Gen. 1,27), in der Schöpfungsgeschichte, steht, daß Gott den Menschen schuf, ihm zum Bilde. Heißt das, wir sollen werden wie er, wie Gott also? Im Neuen Testament gibt es die Stelle (1. Joh. 4,16): „Gott ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm“. Unsere Aufgabe hier auf Erden: Lieben lernen. Erst durch Liebe werden wir mensch(lich). Aber die Realität unter allen Menschen ist stets anders. Liebe, göttlich und damit menschlich sein, wird nicht eingelöst.
Die frommen Christen sagen: Deshalb wurde Gott Mensch in Jesus Christus. Also an Jesus Christus könnt ihr sehen, wie Gott Euch Menschen will, als Liebende. Ich setze dagegen: Jesuanisch, also nicht „christlich“ leben. Also so leben wie Jesus gelebt und gehandelt hat. Das kann ans Kreuz bringen, ist aber nicht vergeblich (Bild der Auferstehung).
Ein dritter Gedankenstrang: Isaaks Opferung (Gen. 22,1 – 17). Man male sich aus, aus Glaubensgehorsam soll Abraham seinen Sohn opfern! Ich stelle mir das bildlich vor, wie Abraham mit seinem Sohn loszieht, nur die beiden. Vater und Sohn machen etwas zusammen; der Sohn ist stolz mitgenommen zu werden, trägt das Brandholz, hilft dem Vater den Scheiterhaufen zu bauen. Nun nimmt der Vater ihn, fesselt ihn und will ihn „schlachten“(!), ist bereit ihn zu morden, ihn zu opfern, um zu beweisen, daß er Gott gehorcht.
Welch ein zu verfluchender Gott, der so etwas fordert! Aber, es kommt ja anders. Der Engel schreitet ein und sagt: „Töte ihn nicht! Gott weiß nun, daß Du ihm gehorchst, daß Du bereit bist, Dein Liebstes zu opfern“. Abraham findet einen Widder, den er opfert, die Geschichte bleibt aber anstößig genug. Es gibt eine andere Deutung, eine eher kulturgeschichtliche: Der Übergang vom Menschen- zum Tieropfer. Ein großer Fortschritt.
Und nun das Kreuz dieses Jesus aus Nazareth. Es gibt eine Interpretation, die sagt: Jesus will das letzte Opfer sein! Hört auf zu opfern, Opfer sind sinnlos!
Das mag alles schön klingen. Aber die Kreuze und die Opfer haben nicht aufgehört. Das Kreuz ist Symbol geblieben für das unschuldige Leiden. Für das, was Menschen durch Menschen angetan wird.
Dieses Motiv finde ich in den Bildern und Plastiken von Peter Marggraf: Was alles wird dem Menschen angetan. Die Kreuzdarstellungen Peter Marggrafs, sie wirken verstörend und das sollen sie wohl auch. Meine erste Reaktion auf den Gekreuzigten für den Altar im Wohnheim des Annastiftes Hannover war Abwehr. Es gab nichts Vertrautes, nichts fürs Auge, nichts fürs Gemüt. Kein Wiedererkennen des gekreuzigten Jesus aus Nazareth. Es gibt diese andere Figur des Gekreuzigten von Peter Marggraf. Schon auch gesichtslos, ohne Dornenkrone, abstrakt, aber erkennbar: Jesus aus Nazareth mit gesenktem Kopf; unten die Beine übereinandergeschlagen, um die Füße festnageln zu können. So „kenne“ ich ihn, so ist er mir vertraut, der hingerichtete Jesus aus Nazareth.
Erst im Zulassen der Abwehr merke ich die Provokation Peter Marggrafs. Es geht ihm nicht um den Jesus aus Nazareth, nicht um den für uns gestorbenen Jesus Christus, sondern um den leidenden Menschen überall. Es geht um die vielen Gekreuzigten heute, um das Kreuz aller leidenden Menschen. Jesus aus Nazareth, die Verkörperung des leidenden Menschen. Und damit wir nicht Jesus in die Stellvertreterrolle schieben, formt Peter Marggraf den gemarterten Menschen als permanente Mahnung: Es wird weiter geopfert, gefoltert, gekreuzigt, getötet. Die Menschlichkeit Jesu, unsere Menschlichkeit ist nicht eingelöst.
Peter Marggraf ist unbequem. Gegen die Gefahr, nur das niedliche Jesulein haben zu wollen (das Kind in der Krippe), verstört er nicht nur mit der Betonung des Kreuzes als Wesentlichem, sondern überspitzt es: Die verwüsteten und zerstörten, die deformierten Gesichter tragen alle Spuren dessen, was Menschen Menschen antun können. Das kaputte, abstoßende, statt des heilen und schönen Angesichtes. Peter Marggraf mutet uns viel zu. Aber, wie Hans Georg Bulla schrieb: „Nicht Peter Marggraf zerstört, sondern er findet um sich herum Zerstörtes vor“.

Wendet Euch nicht ab, guckt hin, laßt Euch berühren. Habt Mitleid, handelt, hört auf zu kreuzigen.

 

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